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Reiner Schwarz

Reiner Schwarz, Köln

Rheinische Allgemeine Psychotherapietage 2007

Eine Gefahr in der Psychotherapie von Migranten besteht bekanntermaßen in der Absolutierung westlicher kultureller Normen, die sich von denen der Herkunftsländer unserer Patienten unterscheiden. Unser Verhältnis zum Geld ist christlich geprägt: dem Armen soll vom Reichen gegeben werden, man darf nicht prahlen und es ist illegitim, über Reichtum Macht und Privilegien einzufordern, da alle vermeintlich gleich sind. Daran halten sich auch hier keineswegs alle, aber unsere Kaste der Psychotherapeuten ist sicher sehr von diesen Idealen geprägt und dies beeinflusst die Behandlungen. Vielen ist unbekannt, dass Menschen in anderen Kulturen andere Werte schätzen und selbst dann, wenn entsprechende Informationen gegeben werden, fällt die Akzeptanz dieser Andersartigkeit schwer. Denn die Erfüllung unserer Normen, z.B. bzgl. Geld, bedeutet moralische Hochschätzung und ethische Höherwertigkeit. Absolutierung zeigt sich häufig in der Formulierung: „Das ist so“. Wer anders denkt und vor allem dann auch handelt, ist auch hier ethisch minderwertig und wird verurteilt, ebenfalls dann in der Psychotherapie. Viele könne sich nicht vorstellen, was Armut wirklich bedeutet. Wir sind es gewöhnt, versorgt zu werden, von unserer Familie, unseren Lebenspartnern oder vom Staat. Wir wären niemals bereit, unsere eigenen Interessen, Wünsche und Abneigungen aufzugeben, nur um nicht arm zu sein. Konfrontiert mit den Verhaltensweisen der Migranten ist eine typische Reaktion: „Dafür muss es eine andere Lösung geben“ - nur das eine solche dort eben nicht existiert. Vergleichbare Probleme gibt es auch bezüglich sexueller Normen oder in der Frage der Rechten und Pflichten gegenüber der eigenen Familie sowie in vielen anderen Lebensbereichen.

 

Fallbeispiele des Referenten sollen dazu dienen, die Probleme zu diskutieren. Eigene Fälle der Teilnehmer sind sehr gewünscht. Patienten aus anderen Herkunftsländern gehe nicht nur mit Geld anders um, sondern auch mit ihrer Sexualität und vielen anderen Dingen. Wir meinen z.B., unser Umgang mit Sexualität sei liberal und fortschrittlich und setzen voraus, dass vor allen Dingen Migrantinnen in dieser Hinsicht unterdrückt (oder traumatisiert) sind. Wenn man genauer hinschaut, zeigt sich manches anders. Jede Behandlung setzt eine emphatische Beziehung voraus, in der nicht gewertet werden soll. Viele sind sich sicher, was Recht und Unrecht ist, wer Opfer und wer Täter ist. In anderen Ländern sieht man so etwas anders. Besondere Probleme ergeben sich bei binationalen Ehen und Familien. Was sind die Rechte und Pflichten der Ehepartner, wie gestaltet sich der Ablösungsprozess der Kinder? Psychotherapie ist in vielen (aber nicht allen) außereuropäischen Ländern weitgehend unbekannt. Sie ist für Migranten (nur) hier, wie alle Leistungen des Gesundheitswesens, unentgeltlich zugänglich. Ein nicht geringer Anteil von Zuwanderern nimmt dieses kostenfreie Angebot gerne an und es kommt zu einer massiven Inanspruchnahme des Gesundheitswesens, die im Heimatland nie möglich wäre. Oft zeigen sich hartnäckige Beschwerden, die sich auch bei vollem Einsatz aller therapeutischen Maßnahmen, inklusive von Psychotherapie, als behandlungsresistent erweisen, die aber sistieren, sobald die Person wieder zu Hause ist, wo nicht nur die Psychotherapie gar nicht zu Verfügung steht. Viele sehen Migranten als im Heimatland gequälte und misshandelte Personen, denen sie helfen können und wollen. Da die Psychotherapeutin oder der Psychotherapeut also gegen Unrecht kämpft, ist sie mithin selbst moralisch gut und könnte Dankbarkeit erwarten. An Beispielen ist zu zeigen, dass viel aneinander vorbeigeredet wird und beide Parteien eigene Interessen verfolgen.